Die vorderen Federbeine Teil I: Federbein ausbauen
Bei den vorderen Federbeinen des Audi 100 handelt es sich (nach dem Namen des Erfinders) um sog. McPherson-Federbeine. Sie bestehen hauptsächlich aus dem in der Mitte liegenden Stoßdämpfer und der um ihn herum befindlichen Schraubenfeder. Das Federbein soll in allen Fahrsituationen für sicheren Kontakt des Rades zur Straße sorgen. Weiterhin setzt die Lenkung am Federbein an, so daß sich die Vorderräder entsprechend des Lenkradeinschlages bewegen können. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, dürfen die Teile der Radaufhängung nicht beschädigt oder verbogen sein oder Gelenke Spiel haben. Grundsätzlich müssen schadhafte Teile erneuert werden, richten und schweißen an Teilen des Fahrwerks ist immer unzulässig. Sämtliche Teile der vorderen Radaufhängung müssen, wenn sie wieder eingebaut werden sollen, in exakt gleicher Lage wieder eingebaut werden (vor dem Ausbau markieren). Sobald neue Teile eingebaut wurden oder die Lage nicht mehr exakt stimmt, muß man die Vorderachse vermessen und einstellen lassen (mit Eigenmitteln wegen der Notwendigkeit teurer Meßgeräte nicht möglich). Weiterhin sind die Teile des Fahrwerkes für die Fahrsicherheit von entscheidender Bedeutung. Nur derjenige, der sich sicher ist, die Arbeiten verantwortungsvoll ausführen zu können, sollte hier selbst Hand anlegen. Andere sind mit solchen Instandsetzungen in einer Fachwerkstatt besser aufgehoben.
Diese Anleitungen sind als ein (wenn auch wohldurchdachter) Leitfaden für solche Arbeiten zu verstehen. Ich kann und werde keine Garantie für die Vollständigkeit der Angaben übernehmen!
Die Anleitung beschreibt die Arbeiten an der vorderen Radaufhängung bis zum vollständigen Ausbau des Federbeins und dessen Zerlegung in seine Einzelteile. Die vorderen Stoßdämpfer können beim Audi ausgewechselt werden, ohne die Radaufhängung zu zerlegen.
Diese Seite beschreibt den Federbeinausbau. Das Zerlegen des ausgebauten Federbeins wird im zweiten Teil beschrieben.
Systematische Arbeitsschritte
Wenn die Federbeine ausgebaut werden sollen, muß zuerst auf der jeweiligen Seite bei noch stehendem Fahrzeug die Achsmutter wie beim Ausbau der Antriebswelle gelöst werden. Erst danach Fahrzeug anheben! Die Antriebswelle kann getriebeseitig eingebaut bleiben.
Stabilisator Die beiden Federbeine sind unten durch den sog. Stabilisator ("Stabi") miteinander verbunden. Dabei handelt es sich um die große quere Metallstange (etwa 3 cm Durchmesser), die aus Federstahl besteht.
Aufgabe des Stabi ist, das jeweils weniger belastete Rad ebenfalls fest auf den Boden zu drücken. Er muß auf beiden Seiten an seinen Lagern von der Karosserie abgeschraubt werden, auch wenn nur ein Federbein ausgebaut werden soll. Dazu muß der Audi vorn gleichmäßig angehoben werden, also beide Räder vom Boden weg. Wer nur einen Wagenheber hat, hebt erst eine Seite an, "setzt" den Audi dann auf einem geeigneten Unterstellbock ab, und hebt dann auch die andere Seite. Immer beide Seiten anheben, damit der Stabi nicht verspannt.
Erst dann die vier Schrauben der Lagerschalen lösen, ggf. Stabi mit Wagenheber unterstützen und nach Lösen der Schrauben langsam ablassen.
Fahrzeug aufgebockt. 1 - Unterstellklotz aus Backsteinen, 2 - Bremsscheibe, 3 - Achsmutter, 4 - Bremssattel, 5 - Stabi, 6 - Lenkhebel, 7 - unterer Federteller, darüber Schraubenfeder
Das linke Bild zeigt eine Lagerschale des Stabilisators.
Rechts der mit dem Wagenheber unterstützte Stabi, Lagerschalen (eine oben rechts sichtbar) abgeschraubt Bremssattel Im nächsten Arbeitsschritt montiert man zweckmäßigerweise den Bremssattel ab. Die Bremsleitung bleibt in jedem Fall angeschlossen. Eventuell kann es notwendig sein, die Bremsbeläge vor dem Abbau des Bremssattels zu demontieren, wenn die der Sattel sich nicht von der Scheibe wegziehen läßt. Den Bremssattel mit einem Drahtstück an geeigneter Stelle (z.B. Aggregateträger) festbinden, damit der Bremsschlauch nicht unter Zug steht. Das untere Traggelenk muß jetzt ausgehakt werden. Dazu muß zuerst seine Klemmschraube gelöst und vollständig herausgedreht werden (sie sitzt ganz unten am Federbein). Dann langen Schraubenzieher oder Brechstange in den Spalt zwischen den beiden Klemmen setzen und die Klemmen vorsichtig etwa 1 mm spreizen, sonst sitzen die Klemmen noch zu stramm am Gelenkzapfen.
1 - Klemmschraube, 2 - Spalt zwischen den Klemmen. Maus über das Bild bewegen für weitere Details.
Dann kann das Traggelenk ausgedrückt werden. Die Werkstatt verwendet dazu einen Montierhebel. Der Hobbymechaniker kann sich (das ist auch fast noch "eleganter") mit einem langen Schraubenzieher und vier M8-Muttern behelfen. Dazu eine Mutter oben mittig auf den Gelenkzapfen auflegen, wie im Bild gezeigt. Dann den Gelenkzapfen mit dem Schraubenzieher unter Hebelwirkung herunterdrücken. Sobald die Mutter "verschwunden" ist, nächste Mutter auflegen und wieder hebeln. Nach insgesamt vier Muttern ist der Gelenkzapfen bis unten hin ausgedrückt. Darauf achten, daß man beim Hebeln nicht die Gummimanschetten (Antriebswelle und Traggelenk) beschädigt. Wie man im Bild sieht, kann man aber von den Manschetten weit genug weg bleiben.
Hinweis: auch wenn der Stabi losgeschraubt ist, steht das Traggelenk noch etwas unter Spannung. Wenn der Gelenkzapfen ausgedrückt ist, muß der Querlenker (Querstange zum Aggregateträger, an der vorne das Traggelenk und der Stabilisator befestigt sind) immer noch von Hand kräftig heruntergedrückt werden, damit man das Federbein dann leicht nach vorn schwenken kann. Dann kann die Antriebswelle aus der Radnabe herausgedrückt werden. Spurstangenkopf Der Spurstangenkopf ist das Kugelgelenk, über das die Lenkstange mit dem Federbein verbunden ist. Er muß als nächstes ausgedrückt werden. Dazu zunächst die Mutter des Spurstangenkopfes lösen. Dann einen stabilen Dreiarmabzieher wie im Bild gezeigt ansetzen und den Kopf aus dem Lenkhebel herausdrücken.
1 - Lenkhebel am Federbein, 2 - Spurstangenkopf, 3 - Lenkstange zum Lenkgetriebe
Wer keinen Abzieher zur Verfügung hat, dreht die Mutter wieder ein kleines Stück auf das Gewinde und schlägt kräftig (1,5 kg-Hammer darf's schon sein) auf die mit X gekennzeichnete Position am Lenkhebel. Vorsicht, nicht auf den Kugelkopf schlagen! Dieses Verfahren wird auch von vielen Werkstätten angewendet. Nach einigen kurzen, kräftigen Schlägen (nicht mit dem 300 Gramm-Hammer streicheln) springt der Kopf heraus. Obere Federbeinlagerung Nun hängt das Federbein nur noch an den drei Schrauben M8 oben am Federbeindom fest. Vom Motorraum aus sind insgesamt sechs Muttern zugänglich. Drei davon bilden einen äußeren Kreis und halten den oberen Lagerteller an der Karosserie. Das obere Federbeinlager ist mit den drei inneren Muttern am Lagerteller befestigt. Zum Ausbau des Federbeins eine der drei äußeren Verschraubungen verwechslungssicher kennzeichnen (z.B. in den in Fahrtrichtung vordersten Gewindebolzen oben eine Kerbe feilen). Wenn auch die inneren Muttern gelöst werden müssen (für den bloßen Federbeinausbau nicht nötig!) und das obere Federbeinlager wieder eingebaut werden soll, muß das Lager ebenfalls vor dem Ausbau mit wenigstens drei Kerben (Körner, scharfer Schraubenzieher) gegen die Karosserie markiert werden.
1 - äußere Muttern des Lagertellers (1a Steckschlüssel SW 13 mm aufgesetzt), 2 - innere Muttern des Federbeinlagers, 3 - Kolbenstange des Stoßdämpfers mit Mutter SW 22 mm, 4 - oberes Federbeinlager
Dann die drei äußeren Muttern herausdrehen. Federbein dabei von Helfer festhalten lassen. Vorsicht, Gewicht nicht unterschätzen! Dann kann das Federbein nach unten herausgenommen werden.
Das ausgebaute linke Federbein
Radlager und Radnabe können nur bei ausgebautem Federbein sinnvoll ausgetauscht werden. Sie sind allerdings in das Federbeingehäuse eingepreßt, zum Wechsel wird eine Hydraulikpresse benötigt, die beim Hobbymechaniker in den seltensten Fällen vorhanden sein dürfte. Daher das ausgebaute Federbein in eine geeignete Werkstatt bringen und die Teile aus- bzw. umpressen lassen. Man spart durch den eigenhändigen Federbeinausbau immer noch viel Geld.
Teil II: Federbein zerlegen
Der Wiedereinbau erfolgt in umgekehrter Reihenfolge. Zuerst den Lagerteller wieder in der gleichen Position in den Federbeindom einsetzen und von Helfer halten lassen. Drei neue M8-Stoppmuttern mit je 30 Nm anziehen. Antriebswelle wieder in die Radnabe stecken, Druckscheibe aufsetzen und neue Achsmutter ein Stück weit aufdrehen. Dann den Gelenkzapfen des unteren Traggelenks wieder ins Federbein gerade einsetzen und vollständig (evtl. leicht ruckeln) in die Klemme drücken. Neue Klemmschraube mit neuer Mutter mit 65 Nm anziehen. Jetzt den Spurstangenkopf wieder einsetzen und fest niederdrücken. Neue Stoppmutter (oder alternativ alte Mutter mit Loctite) mit 60 Nm anziehen. Dann den Stabilisator mit dem Wagenheber wieder anheben und ggf. mit Brechstange etwas nach vorn hebeln (von Helfer halten lassen), bis sich die Lagerschalen und Halteschrauben leicht wieder einsetzen lassen. Schrauben und neue Stoppmuttern (oder Loctite) mit 105 Nm festziehen.
Erst wenn der Wagen wieder fest auf allen vier Rädern steht, neue Achsmutter mit 280 Nm festziehen oder Achsschraube mit 200 Nm + 90°.
Wenigstens nach Austausch folgender Teile muß die Vorderachse neu vermessen werden:
- ganzes Federbein,
- Querlenker
- Stabilisator
- Spurstangenkopf
- oberes Federbeinlager (nicht das Domlager).
Nach anderen Reparaturen muß die Vorderachse nicht vermessen werden, wenn alle Teile an gleicher Position wieder eingebaut wurden.